Beunruhigende 5G-Strategie
Wie Fortschritt auf Abwege führt
Prof. Dr. Werner Thiede | Zeitschrift: umwelt – medinzin – gesellschaft | 33| 1/2020 und 2/2020
Schon vor über 80 Jahren hat Antoine de Saint-Exupéry in seinem Buch „Wind, Sand und Sterne“ notiert: „Jeder Fortschritt hat uns aus Gewohnheiten, die wir kaum erst angenommen hatten, gleich wieder vertrieben. Wir sind Verbannte, die noch kein neues Vaterland gefunden haben.“ In derselben Weise sind auch wir heute Getriebene – und zwar verstärkt im Übergang von der Grundlagenphase der digitalen Revolution zu deren nächster Ausbaustufe. Dies bedeutet nicht mehr bloss, dass uns die Digitalisierung hilfreich zu Diensten ist, sondern auch, dass wir zunehmend in die Gefahr geraten, unbemerkt zu ihren Datenlieferanten, Überwachungsobjekten, Versuchskaninchen und insofern zu ihren Knechten zu werden. Der Soziologe Ulrich Beck hat bemerkt: „Darin liegt die Andersartigkeit des digitalen Risikos und die ihm inhärente Paradoxie: Je näher wir einer Katastrophe – beispielsweise einer weltweiten hegemonialen Datenkontrolle – kommen, desto weniger sichtbar ist sie.“ Diese Entwicklung lässt sich offensichtlich nicht aufhalten: Das grundsätzliche Ja zur Digitalisierung in Politik, Gesellschaft und Kirche ist zu mächtig, als dass noch so intelligente Kritik sie ernsthaft bremsen könnte. Droht – wie der Titel meiner Broschüre (THIEDE 2019) besagt – eine „digitale Fortschrittsfalle“?
Die deutsche Bundesregierung zeigt sich trotz aller Warnungen von IT-Experten, Philosophen, Theologen und Journalisten fortschrittstrunken. In ihrer Broschüre mit dem Titel „5G-Strategie für Deutschland. Eine Offensive für die Entwicklung Deutschlands zum Leitmarkt für 5G-Netze und -Anwendungen“ jubelt gleich der erste Satz: „Die Digitalisierung schreitet so rasch voran, dass Wirtschaft und Gesellschaft schon bald vollständig von Informations- und Kommunikationstechnologien durchdrungen sein werden.“ Ob unsere Gesellschaft das aber überhaupt will, wird nicht gefragt. Das fragt die neue EU-Kommission unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen auch nicht die Bürgerinnen und Bürger Europas, wenn sie Digitalisierung zu einem finanziell forcierten Top-Thema erklärt. Denn Fortschritt muss sein. Und so lautet auch die erste von insgesamt sieben Thesen, die ich im Folgenden vorlegen und erläutern möchte:
- 1. Fortschritt muss sein.
- 2. Weil mit dem Fortschritt auch seine Schattenseiten rasant wachsen, droht er in eine Katastrophe zu münden – eine Fortschrittsfalle baut sich auf.
- 3. die Richtung des Fortschritts muss auf Technikfolgen hin überprüft werden.
- 4. um der drohenden Fortschrittsfalle entgegenzuwirken, müsste Zwecks notwendiger Besinnung das Tempo des Fortschreitens gedrosselt werden – auch in Gestalt eines Moratoriums beim 5g-Ausbau.
- 5. Das Fortschirttskonzept der digitalen Revolution weist in utopische Richtung und trägt totalitaristische Züge.
- 6. Die ideologische Basis der Digitalen Revolution ist im Kern zu hinterfragen – und deshalb das Streben nach unendlichem Fortschritt kritisch zu beleuchten.
- 7. Angesichts der drohenden Fortschrittsfalle ist Widerstand gegen zwangsweise Digitalisierung vor allem im privaten Raum angebracht und öffentliche Aufklärung über deren Risiken zu forcieren.