Die Story vom Korrekturfaktor
von Gigaherz.ch, 07.01.2025, Hansueli Jakob
In 4 Bildern soll hier versucht werden, die verfahrene, langfädige, nicht ganz einfache Geschichte des Mobilfunks mit Korrekturfaktor so zu erklären, dass auch Otto und Ottilia Normalbürger daraus klug werden können.
Wichtiger Hinweis: Die Bilder 1 bis 3 beziehen sich weder auf einen bestimmtem Mobilfunkbetreiber noch auf eine bestimmte Sendeanlage. Es handelt sich um Musterbeispiele mit vergleichbarer Ähnlichkeit zu realen Dokumenten, wie diese zur Zeit in den tausenden von allen 3 Mobilfunkbetreibern auf den Gemeindeverwaltungen zur Einsichtnahme aufgelegten nachträglichen Baugesuchen vorkommen. Die Bilder 1-3 zeigen das Zusatzblatt 2 aus demselben Standortdatenblatt. Die zu beachtenden Sendeparameter sind von uns rot eingefärbt und können sich in jedem Projekt leicht ändern. Die Abdeckungen auf Zeile 4 wurden von uns vorgenommen.
Text zu Bild 1:
Als 2020 der 5G Mobilfunk-Standart so richtig zu spriessen begann, sollten vorerst einmal alle bestehenden Mobilfunk-Sendeanlagen (Antennenstandorte) damit nachgerüstet werden. Weil die Sendeleistungen von 3G und 4G, in obigem Beispiel die Sende-Antennen 1-6 auf Zeile 8, die Strahlungsgrenzwerte an den benachbarten Orten empfindlicher Nutzung (OMEN) überall zu 95% ausnutzten, blieb für die 5G-Sendeantennen, in obigem Beispiel mit den Nummern 7-9, praktisch keine Reserve mehr übrig.
Die Propagandamaschinerie der Mobilfunkbetreiber lief unterdessen auf Hochtouren. Mit 5G könne man 100mal mehr Daten in 100mal höherer Geschwindigkeit übertragen, hiess es. Dass man Solches mit 30mal weniger Sendeleistung bewerkstelligen wollte, in obigem Beispiel mit gerade mal 100Watt ERP gegenüber 3000Watt ERP für 3G und 4G, schien die kantonalen Vollzugsbehörden und die Gerichte, bis hinauf ins Bundesgericht, überhaupt nicht zu stören. Ob die Betreiber ihre Sendeantennen sinnvoll einsetzen wollen oder nicht, habe die Behörde nicht zu entscheiden, tönte es etwa aus Lausanne.
Das rief dann unsererseits unseren Fukingenieur ETH Thomas Fluri auf die Bühne, welcher mit seinen Argumenten und Berechnungen Klipp und klar nachwies, dass sogenannt adaptive 5G-Sendeantennen, die im Stande sind, mit ihren relativ dünnen Strahlenkegeln, den sogenannten Beams, die Handynutzer regelrecht zu verfolgen, unterhalb 10% ihrer maximal möglichen ERP-Leistung, gar nicht funktionieren.
Dummerweise fielen uns zu dieser Zeit, die meisten Datenblätter der Antennenhersteller in die Hände. Und siehe da, der in unserem Beispiel verwendete Antennentyp AAAU 5831 von HUAWEI, deklariert auf Zeile 5, weist im adaptiven 5G-Betrieb eine maximal mögliche Sendeleistung von 30’000Watt ERP auf. Ergo muss diesem Antennenteil eine Mindestleistung von 3000Watt ERP zugewiesen werden, um das Ding überhaupt zum Laufen zu bringen. Denn da draussen wartet nicht nur ein Handynutzer auf Daten, sondern gut deren 1200. Und dies nicht in einer Entfernung von nur 3m sondern von bis zu 3km.
Dass die Deklarationen in den Baugesuchen für das adaptive 5G von nur gerade 100-150Watt ERP wohl eher ein schlechter Scherz waren, bewiesen auch die ultimativen Forderungen welche die Mobilfunkbetreiber zu dieser Zeit an die eidgenössischen Räte stellten. Nämlich die Lockerung des Strahlungsgrenzwertes an Orten empfindlicher Nutzung von 5 auf 20V/m (Volt pro Meter).
Text zu Bild 2
Nach der zweimaligen Ablehnung der Grenzwertlockerung durch National- und Ständerat mussten die Mobilfunkbetreiber einen andern Trick erfinden um die Bevölkerung zu überlisten. Zusammen mit der Konferenz der kantonalen Bau- Planungs und Umweltdirektoren entwickelten sie das Bagatell-Bewilligungsverfahren. Die NISV (Verordnung des Bundes über nichtionisierende Strahlung) sei technologie- und frequenzneutral, behaupteten sie. Man könne nach Belieben Sendeleistungen von einem Frequenzband, in unserem Beispiel vom 1800-2600MHz-Band in das 3400-3600MHz-Band verschieben ohne dieses öffentlich zu publizieren. Das heisst, die Anwohnerschaft kurzerhand um ihr Einspracherecht zu bringen. Die Mobilfunkbetreiber mussten bei der kantonalen NIS-Fachstelle lediglich ein revidiertes Standortdatenblatt einreichen.
Im Beispiel in Bild 2 wurden demnach je 500Watt ERP von den 3- und 4G-Antennen mit den Nummern 4-6 zu den adaptiven 5G-Antennen mit den Nummern 7-6 hinauf-verschoben. Zu mehr Leistungsverschiebung reichte es nicht um die Übertragungsqualität im 3- und 4G-Netz nicht zu gefährden.
Der Trick mit der Leistungsverschiebung im bagatellbewilligungsverfahren, war jedoch bereits illegal. Da für das adaptive 5G bei Abnahmemessungen ein völlig anderes Messverfahren zur Anwendung kommt, kann nicht im Nachhinein einfach nachträglich mehr Power in dieses System verschoben werden.
Die nun mittels Bagatellbewilligung bewilligte Leistungsverschiebungen von 500Watt ERP reichten jedoch bei Weitem nicht aus, um das 5G-Netz adaptiv zu betreiben. Das heisst, gleichzeitig mehrere hundert Teilnehmer abwechslungsweise mit einzelnen Strahlenkeulen sogenannten Beams, gezielt bis in den hintersten Winkel des Sektors zu verfolgen. Eine ausführliche Beschreibung über MIMO und Beamforming, also über adaptive Sendeantennen finden Sie hier: https://www.gigaherz.ch/fake-news-made-by-bakom/
Text zu Bild 3
Jetzt wurde die Sache langsam zu heiss. Mobilfunkkritiker legten immer neue Beweise vor, dass mit weniger als 10% ihrer Maximalleistung eine 5G-Sendeantenne gar nicht im Stande ist, im MIMO- und BEAMFORMING-Betrieb, also im adaptiven Betrieb zu funktionieren. Im Falle unseres hier dargestellten Beispiels wären demnach 3000 von den maximal 30’000Watt ERP erforderlich um diesen Antennentyp überhaupt auf adaptive Art zum Funktionieren zu bringen. Siehe auch Text zu Bild 1.
BAFU, BAKOM und METAS waren gefordert, dem Bundesrat einen neuen Volksbeschiss zu präsentieren, denn eine offizielle Lockerung der Strahlungsgrenzwerte stand nicht mehr zur Diskussion. Ergo musste diese durch die Hintertüre, mittels den sogenannten Bagatellbewilligungen erfolgen. Doch wie sag ichs meinen Kindern, ohne dass diese etwas merken?
Erfunden dazu wurde im Februar 2021 der sogenannte Korrekturfaktor.
Je nachdem aus wievielen Gruppen von einzelnen Kleinstantennen, Subarrays genannt, die erforderlich sind, um den Beam zu formen, das heisst Beamforming zu betreiben, soll auf der Sendeleistung in Watt ERP ein sogenannter Korrekturfaktor gewährt werden. Dieser erlaubt es den Mobilfunkbetreibern, eben je nach Anzahl Subarrays, für ihre Strahlungsberechnungen an den Orten empfindlicher Nutzung nur das 0.4 bis 0.1-Fache der benötigten Sendeleistung einzusetzen. Oder reziprok ausgedrückt, 2.5 bis 10mal stärker, als im Baugesuch deklariert, strahlen zu dürfen.
Um diesen Vorteil zu erlangen, sei lediglich eine Bagatellbewilligung erforderlich, und um eine solche zu erhalten sei lediglich das Einreichen eines korrigierten Zusatzblattes 2 aus dem 30-seitigen Standortdatenblatt einzureichen.
Siehe im Bild 3 oben: Nach Zeile 5 werden 2 neue Zeilen 6 und 7 eingefügt. Hier rot markiert. Diese besagen, ob eine Sendeantenne adaptiv betrieben wird oder nicht und wenn JA mit wievielen Subarrays. Das ist alles.
Dass dieser simple Eintrag dann auch von 1.6 bis 3.2 mal höheren 5G-Strahlungswerten an den Orten empfindlicher Nutzung mit teils kurzzeitiger, dafür aber massiver Grenzwertüberschreitung führt, braucht das dumme Volk ja nicht zu wissen.
Text zu Bild 4
Die Story zum Korrekturfaktor wurde vom BAFU Ende Februar 2021 vorerst einmal in einem Nachtrag zur Vollzugshilfe zur NISV (Verordnung des Bundesrates über nichtionisierende Strahlung) festgeschrieben. Die roten Einträge stammen von uns und sollen illustrieren, dass zum Beispiel ein Korrekturfaktor von 0.2 nicht etwa eine Reduktion der Strahlung bedeutet, sondern im reziproken Wert eine, je nach Bedarf, kurzzeitige Erhöhung der Sendeleistung um das 5-Fache.
Weil ein von den Westschweizer Kantonen in Auftrag gegebenes, sündhaft teures Rechtsgutachten der UNI Freiburg besagte, dass es nicht legal sei, eine verdeckte Grenzwert-Lockerung auf dem Weg einer Vollzugshilfe einzuführen, schrieb der Bundesrat diese Ende Dezember 2021 in Ziffer 63 im Anhang 1 zur NIS-Verordnung fest. Jetzt war der Schwindel in Gesetzeskraft erhoben und Frau Sommaruga lobte sich in ihrer Abschiedsrede, für jedes Problem eine Lösung angeboten zu haben. Zu einer Besprechung, um ihr zu erklären, dass der Korrekturfaktor keine Lösung, sondern ein Schwindel sei, hatte sie nie Zeit.
Zum Stand der Dinge Ende Dezember 2024
Laut Bundesgerichtsentscheiden 1C_506/2023 vom 23.April 2024 und 1C_414/2022 vom 29.August 2024 müssen an landesweit rund 3000 Standorten von Mobilfunk-Sendeantennen nachträgliche, offizielle Baugesuche eingereicht werden. Die von Gemeinden im Auftrag der kantonalen Umweltämter und der kantonalen Baudirektionen ohne Anhörung der Anwohnerschaft erteilten Bagatellbewilligungen zum Antennentausch sowie zur nachträglichen Aufschaltung des sogenannten Korrekturfaktors sind zu Unrecht erteilt worden.
Von den 3000 landesweit zu Unrecht erteilten Baubewilligungen betreffen 320 den Kanton Bern und somit die Fachstelle Immissionsschutz des kantonalen Amtes für Umwelt und Energie (AUE).
Den Bauämtern und Bauinspektoraten der Gemeinden und Städte wird daher dringend empfohlen, sich funktechnisch selber fachkundig zu machen und Baugesuche für Mobilfunk-Sendeanlagen nicht einfach anhand von eingeholten Amtsberichten durchzuwinken.
Gemäss Bundesgerichtsurteil 1C_310/2024 vom 18.10.24 sind die Folgen der Anwendung des Korrekturfaktors, so darzulegen, dass auch Normalbürger ersehen können, welche Folgen sich daraus ergeben. Zitat aus den Erwägungen E2.2:
Die Anwendung der Korrekturfaktoren auf die adaptiven Antennen setzt vielmehr voraus, dass das Standortdatenblatt, aufgrund dessen die Baubewilligung erteilt werden soll, die konkrete Anwendung der Korrekturfaktoren darlegt. Ende Zitat.
Die konkrete Anwendung des Korrekturfaktors wird in den neu ausgestellten Standortdatenblättern in den nachträglich erstellten Baugesuchen nicht beschrieben. Otto Normalbürger kann aus Zeilen 6 und 7 im Zusatzblatt 2 nicht ersehen, was diese Angaben für ihn für Folgen haben. Deshalb sind auch die nachträglich publizierten Baugesuche erneut zurückzuweisen.
Baugesuchsteller zurück auf Feld 1! Das Spiel beginnt von vorne!