“Gesundes Licht” – vom Flicker zum Wohlfühllicht

“Gesundes Licht” – vom Flicker zum Wohlfühllicht

gefunden auf bulletin.ch vom 04.11.2020 von Dr. Ing. Adrian Mahlkow und Dr. Inga Rothert

Analyse von Lichtartefakten

Flicker, auch als Flackern bezeichnet, kann künstliche Beleuchtung sichtbar oder auch unterschwellig unangenehm machen und sogar zu gesund­heitlichen Störungen führen. Neuste Ansätze zur Messung dieser «temporalen Licht­artefakte» bedienen sich der Übertragungs­theoreme der Nachrich­ten­technik, um eine präzise Beschreibung möglich zu machen.

LEDs haben als Leuchtmittel eine Revolution in der Beleuchtung nicht nur in Bezug auf die Effizienz, sondern auch bei der Formensprache von Leuchten ausgelöst. Licht und Lichtquelle sind nun nicht mehr aneinandergekoppelt, der Fantasie sind fast keine Grenzen mehr gesetzt. Das Leuchtmittel ist ein reines optoelektronisches Bauelement. Jeder, der eine rein optoelektronische Schaltung entwerfen kann, ist nun in der Lage, eine Leuchte zu entwickeln. Dass dabei nicht nur gutes Licht «herauskommt», haben viele sicher schon beim Kauf von Retrofits erfahren und sich die bewährte Glühlampe zurückgewünscht. Damit der Markt hier reinigend wirken kann, haben sich viele Masszahlen etabliert, die vor zehn Jahren nur Experten bekannt waren: Farbtemperatur, Farbwiedergabe, Effizienz, Lebensdauer etc. Anhand dieser Werte kann der Verbraucher zumeist entscheiden, zu welchem Produkt er greifen soll. Trotzdem bleibt aber manchmal ein mulmiges Gefühl.

Flicker – Zeitliche Schwankungen der Intensität

LEDs sind Leuchtmittel, die dem Strom der Elektronik unmittelbar folgen und mit Reaktionszeiten von teilweise weniger als 0,1 s ein- und ausgeschaltet werden können. Jede noch so kurze Spannungsschwankung kann bei ungünstig entworfener Elektronik direkt in eine Lichtschwankung übertragen werden. Positiv kann dies beim Dimmen von LEDs genutzt werden, um die wahrgenommene Helligkeit durch sehr schnelles Ein- und Ausschalten in der zeitlichen Mittelung durch den Betrachter zu reduzieren (sogenannte PWM: Pulsweiten-Modulation). Schaltet man hier zu langsam oder zu unregelmässig, wird das Licht als flackernd empfunden und man spricht von Flicker.

Klassischer Flicker (0 bis 85 Hz)

Flicker ist allgemein ein Eindruck der Unstetigkeit bei visuellen Empfindungen, hervorgerufen durch Lichtreize mit zeitlicher Schwankung der Leuchtdichten oder der spektralen Verteilung.[6] Die Wahrnehmungsschwelle unterscheidet sich von Mensch zu Mensch erheblich, wie man es früher von den Röhrenmonitoren kannte. Mancher hatte kein Problem mit 50 Hz Wiederholfrequenz, andere waren erst ab 85 Hz halbwegs zufrieden. Hinzu kommt, dass unser Auge peripher deutlich höhere Frequenzen erkennen kann als im Ort des schärfsten Sehens. Evolutionär wohl ein Selektionsvorteil, da der Säbelzahntiger selten von vorne kam. Aber zurück in die Gegenwart: Das störende Flackern am Blickfeld­rand verschwindet, wenn man die Ursache sucht und im Raum umherblickt. Angenehm kann die Beleuchtung also erst sein, wenn unter keinen Umständen ein Flackern wahrnehmbar ist. Nach einigen Untersuchungen schon seit den 1930ern mit Leuchtstoffröhren und in den letzten beiden Jahrzehnten mit LEDs ist unter Fachleuten eine Frequenz von 400 Hz als nicht mehr wahrnehmbar anerkannt. Ist damit alles gesagt? Wenn die LED mit konstanter Helligkeit leuchtet und eine entsprechende Glättung des Stroms durchgeführt wird, gibt es kein Flicker.

Der Stroboskop-Effekt (40 Hz bis 2,5 kHz)

Der Stroboskop-Effekt (SVM: Strobo­sco­pic Visibility Measure, Bild 1) ist definiert als eine Veränderung einer Bewegungswahrnehmung eines statischen Beobachters in einer nicht statischen Umgebung, hervorgerufen durch einen Lichtreiz, dessen Helligkeit oder spek­trale Verteilung zeitlich schwankt.[6] Diese etwas sperrige Definition lässt sich durch den bekannten Wagenradeffekt illustrieren: Bei bestimmten Lichtfrequenzen scheint ein sich drehendes Rad stillzustehen oder sogar rückwärts zu drehen. Sehr häufig tritt der Strobo­skop-Effekt bei (meist billigen) Wechselstrom-LEDs auf, die direkt mit Netzstrom betrieben werden und daher mit 100 Hz in der Helligkeit schwanken. Auch ältere Leuchtstofflampen an konventionellen Vorschaltgeräten zeigen diesen Effekt. Für den Heimgebrauch kann diese 100-Hz-Schwankung einfach mit der Smartphone-Kamera überprüft werden: Sie zeigt dann ein Flackern der Lichtquelle.

<strong>Bild 1</strong> Dieses Stroboskopbild nahm der Pionier der Hoch­geschwindigkeits­fotografie und Erfinder des Stroboskops Harold Edgerton 1949 auf.
Bild 1 Dieses Stroboskopbild nahm der Pionier der Hoch­geschwindigkeits­fotografie und Erfinder des Stroboskops Harold Edgerton 1949 auf.

Aber auch weitaus höhere Frequenzen können bezüglich des Strobo­skop-Effekts problematisch werden. Soll z. B. die Helligkeit einer Leuchte über einen weiten Bereich geregelt werden können (z. B. 100% bis 0,1% oder 0,01% als Nachtlicht), muss eine PWM-Steuerung mit entsprechend höherer Schaltfrequenz etabliert werden. Für ein Dimmen mit 1:1000 liegt die Grundfrequenz noch bei 400 kHz, also kein Problem für nahezu jede LED. Soll mit der Leuchte auch ein Nachtlicht möglich sein, müsste die Grundfrequenz schon bei 4 MHz liegen, da wird’s schwierig für die meisten LEDs, und das Radio spielt auch mit. Für einige LED-Module mit 500 W Nennleistung müssten dann Ströme bis 90 A mit solch hohen Frequenzen geschaltet werden. Das aktive Abstrahlen unerwünschter elektromagnetischer Wellen zu verhindern, ohne das Licht ebenfalls abzuschirmen, ist dann unmöglich.

Der Perlschnureffekt (50 Hz bis 2,5 kHz)

Schliesslich kann es bei einem bewegten Betrachter zum sogenannten Perlschnur­effekt kommen (PAE = Phantom Array Effekt). Definiert ist dies als Wahrnehmung von räumlich ausgedehnten Lichtflecken bei einer Sakkade (schnelles Bewegen der Augen) über eine Lichtquelle, die zeitlich schwankt.[6] Die Situation in Bild 2 hat wohl jeder Autofahrende schon einmal erlebt. Hier hilft nur Tempo, nicht im Fahrzeug, sondern bei der Ansteuerung.

<strong>Bild 2</strong> Der Perlschnureffekt entsteht, wenn man eine stehende, schwankende Lichtquelle betrachtet und den Blickwinkel ändert.
Bild 2 Der Perlschnureffekt entsteht, wenn man eine stehende, schwankende Lichtquelle betrachtet und den Blickwinkel ändert.

Rechtlicher Rahmen

Da die Wahrnehmung von Flicker recht individuell und der direkte Vergleich der Qualität durch Vorgaben bisher nicht gegeben ist, wurde nun nach vielen Jahren der Abstimmungen regulatorisch eingegriffen. Die neuen EU-Ökodesign-Anforderungen an Lichtquellen legen ab 2021 erstmals verbindliche Grenzwerte für Flicker (PstLM ≤ 1) und stroboskopische Effekte (SVM ≤ 0,4) von Lichtquellen fest. Der Bedarf an präzisen und bezahlbaren Messgeräten für Leuchtenhersteller, Lichtplaner und Installateure ist dadurch schon jetzt vorhanden. Der Verbraucher erhält somit auch die Möglichkeit, Leuchtmittel und Lampen nach der Einhaltung dieser Anforderungen entsprechend auszuwählen.

Die Messung von Flicker

Doch wie «richtig» messen wir? Aktuelle Messtechnik und sogar die Messmethoden selbst stossen hier heute an ihre Grenzen (siehe Bericht des U.S. Departement of Energy [1]). Eigene Erfahrungen und Messungen an LEDs mit Spread-Spectrum-PWM-Steuerung sowie Messungen diverser LED-Lampen belegen dies durch fehlerhafte Ergebnisse: Es wird ein starker Flicker gemessen, obwohl keiner sichtbar ist – oder umgekehrt.

Und wie genau wird gemessen?

Es gibt einige internationale Standards, in denen genaue Messvorschriften inklusive verschiedener Bewertungsfunktionen dargestellt sind.[3] Die EN 61000-3-3 (Bild 3) zeigt in einem «übersichtlichen» Blockdiagramm den einfachen Weg zu einer Flickerbewertung für jede der drei Hauptspielarten des Flickers (genauer: der TLA). Es existieren je noch ein Dutzend weiterer Vorschriften und Messprotokolle. Es gibt recht einfache Vorschriften, wie etwa die Bewertung des Percent Flicker (Modulationstiefe) oder den Flicker­index. Deutlich komplexer sind neuere Bewertungs-Metriken wie die der CIE: IEC PstLM, den CIE: SVM, LRC Assist, CFD [4] oder die IEEE 1789-2015. Die Nema und die CIE TN 006:2016 [2] bieten Vergleiche und Übersichten an.

<strong>Bild 3</strong> Der Weg zu einer Flickerbewertung gemäss EN 61000-3-3.
Bild 3 Der Weg zu einer Flickerbewertung gemäss EN 61000-3-3.

Es existiert also eine Vielzahl an Metriken, Grenzwert­empfehlungen und Standardisierungen, die sich zum Teil ergänzen, bei konkreten Messungen an einer identischen Leuchte auch Widersprüchliches liefern können (Tabelle). Neue Messgeräte müssen diese beherrschen und höhere Signalfrequenzen korrekt erfassen. Darüber hinaus ist die Entwicklung von weiteren Algorithmen und Masszahlen Gegenstand der Forschung, auch um diese Widersprüche aufzulösen.

<strong>Tabelle</strong> Flicker lässt sich auf unterschiedliche Weise messen.
Tabelle Flicker lässt sich auf unterschiedliche Weise messen.

Das Projekt

Im Forschungsinstitut Optotransmitter Umweltschutz Technologie (OUT) e.V. werden seit fast 30 Jahren über 200 Kooperationsprojekte mit, an und für die LED durchgeführt. Teilweise steht dabei auch der Mensch mit seiner wichtigsten Wahrnehmung, dem Sehen, im Mittelpunkt. So auch im aktuell abgeschlossenen Projekt, dessen Ziel es war, ein neuartiges Flickermessgerät und zusätzlich eine Testquelle (der TLA-Simulator) zu entwickeln, um alle praxisrelevanten Leuchten für eine Überprüfung von Flickermetern darstellen zu können.

Ein Vergleichstest des ZVEI (Zen­tralverband Elektrotechnik- und Elek­tronik­industrie e.V.) unter den am Markt verfügbaren Flickermetern hat gezeigt, dass moderne LED-Leuchten mit teilweise komplizierten Ansteuermustern oder auch in VLC-Anwendungen (visible light communication) durchweg fehlerhaft gemessen werden und alle Messgeräte Flicker anzeigen, wo keiner vorhanden ist. Dieses Manko zu beheben, war die zentrale Zielstellung des Projektes. Dazu haben das Elektronik-Entwicklungs-Unternehmen Code Mercenaries und unser Forschungsinstitut in einem kompakt angelegten Kooperations­projekt ein neuartiges Flickermeter und auch eine Testleuchte zur Überprüfung entwickelt (Bild 4).

<strong>Bild 4</strong> Experimenteller Aufbau der Flickermessung.
Bild 4 Experimenteller Aufbau der Flickermessung.

Das in diesem Projekt entwickelte «Flickermeter» erfasst die Lichtsignalform mit hoher Abtastfrequenz über einen langen Zeitraum, um auch selten auftretende Helligkeitspeaks zu erfassen. Die Software kann daraus nach den aktuellen Metriken (PstLM, SVM, LRC Assist, Flickerindex, Modula­tionstiefe, …) die temporalen Lichtartefakte (TLA) berechnen. Sie ist Open Source, um einfache Updates und eine Übernahme durch andere Forschungsgruppen zu ermöglichen, damit sie neue Berechnungs­algorithmen entwickeln können. Die hohe Abtastfrequenz von 2 MHz ermöglicht als zusätzliche Anwendung abseits der Innenbeleuchtung die Überprüfung von LED-Lichtquellen für Ultra-Slow-Motion Kamera­aufnahmen z. B. für Sportübertragungen oder in der Wissenschaft. Zudem soll das spätere Messgerät portabel am Smartphone betrieben werden können und auch für Anwender mit geringem Budget erschwinglich sein.

Um die Zuverlässigkeit dieses und anderer TLA-Messgeräte zu testen, wird ausserdem ein TLA-Simulator entwickelt. Dieser besteht aus einer stabilen weissen LED-Lichtquelle, die sowohl durch eine PWM verschiedenster Frequenzen und Duty Cycles als auch mittels beliebiger Signalformen betrieben werden kann.

Das TLA-Messgerät und der TLA-Simulator werden zurzeit entwickelt. Ein erster Prototyp mit ersten Messergebnissen wird zur Konferenz «Licht 2021» erwartet. Das finale Messgerät erleichtert die Überprüfung von temporalen Lichtartefakten und ermöglicht so, qualitativ hochwertige LED-Beleuchtung sicher zu erkennen, was schliesslich die Akzeptanz von LEDs in der Bevölkerung verbessern kann.

Referenzen

[1] U.S. Department of Energy Office of Energy Efficiency & Renewable Energy, «Characterizing Photometric ­Flicker: Handheld Meters», 2018.
[2] CIE TN 006:2016 Visual Aspects of Time-Modulated Lighting Systems – Definitions and Measurement Models.
[3] www.lrc.rpi.edu/programs/solidstate/assist/recommends/flicker.asp
[4] www.derlichtpeter.de/de/lichtflimmern/cfd
[5] Philips-Webinar zu Flicker
[6] Verordnung (EU) 2019/2020 der Kommission vom 1. Oktober 2019.



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