Man sieht es nicht, man riecht es nicht, man hört es nicht.
Und doch ist es da – überall, in allem, was uns umgibt. Es klebt an unserer Haut, schwebt in der Luft, löst sich im Wasser, legt sich auf unser Essen. – Mikroplastik.

So unscheinbar, dass man es fast vergessen würde, wäre es nicht längst ein Teil von uns geworden. Es erinnert in seiner Unsichtbarkeit an etwas anderes, das unsere Zeit prägt: an Elektrosmog.
Auch er ist nicht zu sehen, nicht zu riechen, nicht zu greifen – und doch umgibt er uns, Tag und Nacht, still und stetig. Beides – Mikroplastik und elektromagnetische Felder – sind Kinder derselben Zivilisation: geschaffen, um uns das Leben bequemer zu machen, und doch mit Nebenwirkungen, die man erst erkennt, wenn sie sich summieren. Unsichtbare Stoffe, unsichtbare Strahlung – zwei Seiten derselben Medaille der Moderne.
Der stille Anfang im Alltag
Beginnen wir bei einer Szene, die jede und jeder kennt: eine Tasse Tee. Heisses Wasser, ein duftender Beutel, drei Minuten warten. Was wie Seide aussieht, ist bei vielen modernen Beuteln kein Papier, sondern thermoplastischer Kunststoff – Nylon, PET oder sogenanntes Bioplastik (PLA = Polylactid). PLA klingt harmlos, weil der Rohstoff aus Mais- oder Zuckerrohrstärke stammt; chemisch ist es dennoch ein Polyester, also ein echter Kunststoff. Trifft heisses Wasser auf dieses Material, brechen Molekülketten auf, und es lösen sich mikroskopisch kleine Fragmente. Eine Untersuchung der McGill University (2019) zeigte: Ein einziger solcher Beutel kann über elf Milliarden Mikroplastik- und rund drei Milliarden Nanoplastikpartikel in eine Tasse freisetzen – unsichtbar, geschmacklos, aber vorhanden.
„Biologisch abbaubar“ ist dabei ein irreführender Begriff: PLA zerfällt nur unter industriellen Kompostbedingungen (über 55 °C, hohe Feuchte, definierte Mikroben). Im Alltag – im Wasser, im Abwasser oder im Körper – bleibt es stabil und zerbricht höchstens weiter in noch kleinere Partikel.
Kaffee, Kapseln und der falsche Fortschritt
Der Morgenkaffee ist keine Ausnahme. Kapselsysteme funktionieren mit Druck und Hitze – ideal für Aromastabilität, ideal leider auch für die Freisetzung von Polymerfragmenten aus Dichtungen und Innenbeschichtungen. Auch „kompostierbare“ Kapseln aus PLA oder CPLA (kristallines Polylactid) verhalten sich im Gebrauch wie herkömmlicher Kunststoff: formstabil, wasserresistent, thermoplastisch. Genau das, was sie praktisch macht, macht sie im Wasser- und Körpersystem dauerhaft.
Der grosse Irrtum vom guten Gewissen
Es ist ein beruhigendes Narrativ: Wir ersetzen Erdöl durch Mais, erfinden „grüne“ Materialien und gestalten das Problem einfach um. Aber der Unterschied ist kosmetisch. Das Verhalten im Kontakt mit Wasser, Hitze und Druck bleibt identisch. Bioplastik, ob PLA, Soilon oder CPLA, ist kein Naturprodukt, sondern ein technischer Stoff. Er besteht aus langen Molekülketten, die durch Polymerisation entstehen – eine künstliche Verbindung, die in der Umwelt praktisch nicht mehr zerfällt. Selbst wenn sich der Beutel irgendwann auflöst, verschwinden die Teilchen nicht. Sie werden kleiner, feiner, unsichtbarer – aber nie weg.
So trinken wir, was wir zu vermeiden glaubten. Und genau das macht das Thema so tückisch: Es sieht harmlos aus. Es fühlt sich sauber an. Es schmeckt unverändert. Aber jeder Schluck trägt etwas in sich, das dort nie hingehört.
Wenn Kleidung zum Staub wird
Dasselbe passiert mit dem, was wir tragen. Synthetische Fasern wie Polyester, Acryl, Nylon oder Elastan machen Kleidung elastisch, farbstabil und billig – aber sie verlieren bei jedem Waschgang winzige Partikel. Aus einer einzigen Fleecejacke können pro Wäsche bis zu 700 000 Mikrofasern ins Abwasser gelangen. Diese Fasern sind leichter als Wasser, reissfest, elektrisch geladen – ideale Passagiere für lange Wege.
Kläranlagen halten einen Teil davon zurück, doch die kleinsten Partikel bleiben in der Strömung. Sie gelangen in Flüsse, Seen und Meere, wo sie von Kleinstlebewesen aufgenommen werden – und so wieder in die Nahrungskette zurückkehren. Forscher fanden Mikroplastik in Bergschnee, in Luftproben über den Alpen, in Trinkwasserquellen und sogar im Honig. Was als unsichtbarer Faden beginnt, endet als Bestandteil der Atmosphäre.
Die Küche als Labor des Unbemerkten
Auch in unseren Küchen spielt sich dieser Prozess täglich ab. Kunststoff ist praktisch, stabil und allgegenwärtig – vom Schneidbrett über die Frischhaltebox bis zur Pfannenwender. Doch sobald Hitze, Fett oder Säure dazukommen, beginnen sich Bestandteile zu lösen. Ein einfaches Beispiel: PET-Flaschen, die im Sommer im Auto liegen, setzen unter Wärmeeinfluss nachweislich mehr Mikroplastik frei. Plastikgeschirr, das in der Mikrowelle verwendet wird, gibt Additive und Partikel ab, die im Essen landen. Selbst Kartonbecher und Take-away-Verpackungen enthalten innere Kunststoffschichten, die sich beim Kontakt mit heissen Flüssigkeiten langsam ablösen. Das ist kein theoretisches Risiko, sondern messbare Realität – und sie betrifft nicht nur uns, sondern das gesamte Wassersystem.
Der Weg durch die Kläranlage
Kläranlagen sind technische Meisterwerke – aber sie wurden gebaut, um biologische Stoffe zu entfernen, nicht Nanopartikel. Zwar fangen sie 80–90 % der grösseren Mikroplastikteilchen ab, doch die kleinsten – jene unter 10 µm – gehen einfach durch. Was im Filter bleibt, sammelt sich im Klärschlamm, der dann verbrannt oder in der Landwirtschaft verwertet wird. Ein Teil gelangt in die Böden, ein anderer in Flüsse. Am Ende kommt alles wieder dorthin zurück, wo es begann – in uns. Es gibt keine Filterstufe, die Nanoplastik zuverlässig entfernt. Diese Partikel verhalten sich physikalisch fast wie Gase – sie durchdringen Poren, diffundieren durch Membranen und wandern weiter.
Der Körper als Zielpunkt
Was einst ein Umweltproblem war, ist längst ein biologisches geworden. Forscher fanden Mikroplastik in Blut, Lunge, Plazenta und Muttermilch. Die kleinsten Partikel sind in der Lage, Zellmembranen zu durchdringen, sich im Gewebe anzulagern und Entzündungsreaktionen auszulösen. In Tierversuchen verursachen sie oxidativen Stress und DNA-Schäden – beim Menschen fehlen noch Langzeitdaten, aber die Mechanismen sind bekannt. Plastik verhält sich im Körper wie ein chemisch aktiver Staub: Es wird nicht verstoffwechselt, nicht ausgeschieden, sondern eingelagert. Wir tragen es in uns – unbemerkt, dauerhaft.
Die unsichtbare Dosis
Laut einer WWF-Studie der University of Newcastle nimmt jeder Mensch durchschnittlich 5–10 g Mikroplastik pro Woche auf – etwa das Gewicht einer Kreditkarte. Das klingt wenig, doch es summiert sich über Jahre: durch Nahrung, Trinkwasser, Luft und Hautkontakt. Mikroplastikpartikel wurden in 80 % der getesteten Blutproben gefunden; sie zirkulieren mit, ohne abgebaut zu werden. Was früher Abfall war, ist heute Bestandteil unseres Stoffwechsels. Das Plastik hat sich von einem Werkstoff zu einem biologischen Akteur gewandelt – und wir sind Teil seiner Geschichte geworden.
Die grosse Illusion der Kontrolle
Wir tun vieles, um das sichtbare Plastik zu vermeiden: Wir verbieten Strohhalme, kleben Deckel an Flaschen, ersetzen Tragetaschen durch Papier. Aber das sind Symbolhandlungen. Der Strohhalm ist nicht das Problem – er lenkt nur ab. Das wahre Problem liegt dort, wo Kunststoff genutzt, erhitzt, bewegt oder gewaschen wird. In der Küche, in der Waschmaschine, im Alltag. Dort entsteht das, was kein Gesetz und keine Technik mehr aufhalten kann.
Was bleibt
Es gibt keine Filteranlage, die Nanoplastik zuverlässig zurückhält. Kein Labor, das es aus dem Blut entfernt. Und keine natürliche Kraft, die es wieder abbaut. Was bleibt, ist Bewusstsein. Jede Entscheidung – ob Tee im offenen Sieb, Kaffee im Papierfilter, Wasser aus Glas oder Kleidung aus Naturfasern – verringert die Belastung. Nicht symbolisch, sondern real.
Mikroplastik ist die unsichtbare Handschrift unserer Zeit. Wie lange sie lesbar bleibt, hängt davon ab, wann wir beginnen, anders zu denken. Denn wir trinken ihn, wir atmen ihn, wir tragen ihn – jeden Tag.
Quellen (Auswahl)
- McGill University (2019): Plastic teabags release billions of microparticles into tea → mcgill.ca/newsroom
- Environmental Science & Technology, 2019 → pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31552738
- Environment International, 2022: Mikroplastik im menschlichen Blut → pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35288121
- Food Safety and Risk, 2022: Zellreaktionen durch Nanoplastik → foodsafetyandrisk.biomedcentral.com
- WWF / University of Newcastle (2020): We Are Ingesting Plastic → wwf.panda.org
- European Environment Agency (2022): Microplastics in the Environment → eea.europa.eu
- Eawag (2021): Microplastics in Swiss Wastewater Treatment Plants → eawag.ch
