Vorbemerkung diagnose:funk: “Die Reflexstudie ist gefälscht – Handystrahlung löst keine Tumore aus!” – konsterniert lasen wir 2008 im Spiegel, der Süddeutschen, in nahezu der gesamten Presse diese Meldung. Politiker beteten diese Entwarnung beruhigt hoch und runter. Schnell wussten wir aber aus Berichten der beteiligten Wissenschaftler, dass die Studien sauber durchgeführt wurden. Aber die Deutungshoheit hatten damals die Mobilfunkindustrie und Medien, die nicht richtig hingeschaut haben.
Dass daraus ein Wissenschaftskrimi wurde, mit Rufmord, Prozessen, Zerstörung von Existenzen, der zwar gleich als Skandal entlarvt, aber erst 2020 juristisch abgeschlossen werden wird, ahnten wir nicht. Man kann daraus lernen, wozu Industrie und eine korrumpierte Wissenschaft in der Lage sind. Jetzt haben wir es amtlich: Die Ergebnisse der REFLEX-Studie sind richtig, die Behauptung, sie seien gefälscht, darf nicht mehr aufgestellt werden. Eine Revision des Urteils ist nicht zugelassen.
Am 11.12.2020 verkündete das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen folgende Entscheidung (von diagnose:funk zur besseren Lesbarkeit entsprechend ergänzt):
- „Der Beklagte [= Prof. Alexander Lerchl] wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgelds bis zur Höhe von 250.000 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, von Ordnungshaft oder von Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen, mit Bezug auf die Klägerin [seine Fälschungsvorwürfe zur REFLEX-Studie] zu veröffentlichen und/oder veröffentlichen zu lassen. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Streitwert wird auf 20.000 EUR festgesetzt. Die Revision wird nicht zugelassen.“
Mit der REFLEX-Studie wurde nachgewiesen:
- GSM-1800 und GSM-900 verändern unterhalb des geltenden Grenzwertes von 2 W/kg in verschiedenen menschlichen und tierischen Zellen nach intermittierender und kontinuierlicher Exposition Struktur und Funktion der Gene. Folgende Wirkungen wurden festgestellt:
- Zunahme von Einzel- und Doppelstrangbrüchen der DNA in menschlichen Fibroblasten, HL60-Zellen und Granulosazellen von Ratten, aber nicht in menschlichen Lymphozyten
- Zunahme von Mikrokernen und Chromosomenaberrationen in menschlichen Fibroblasten
- Veränderung der Genexpression in mehreren Zellarten, insbesondere aber in menschlichen Endothelzellen und embryonalen Stammzellen von Mäusen. Ein signifikanter Anstieg von DNA-Strangbrüchen wurde in menschlichen Fibroblasten bereits bei einem SAR-Wert von 0,3 W/kg festgestellt.
Das wurde inzwischen direkt und indirekt durch weitere groß angelegte Studien bestätigt, zuletzt durch die NTP-, Ramazzini-, die AUVA-Studien und viele Einzelstudien, bestätigt in mehr als 90 Reviews.
- Angesichts dieses Urteils danken wir Professor Franz Adlkofer, dass er diese zermürbende Auseinandersetzung 12 Jahre lang durchgehalten hat.
- Angesichts dieses Urteil fordern wir die Medien auf, ihre Berichterstattung von 2008 zu korrigieren und den Menschen nun mitzuteilen, welchen Risiken sie sich beim Telefonieren aussetzen.
- Angesichts dieses Urteils fordern wir von der Leitung der medizinischen Universität Wien eine nachträgliche Stellungnahme zur Intrige, die sie an ihrer Einrichtung zugelassen und gedeckt hat.
- Angesichts dieses Urteils fordern wir das Bundesamt für Strahlenschutz auf, den Auftrag der 5G-Studie an Prof. Lerchl rückgängig zu machen, nachdem seine Behauptungen zur REFLEX-Studie als nicht zutreffend verurteilt wurden.
- Angesichts dieses Urteils fordern wir das EMF-Portal auf, den folgenden diskriminierenden Passus im Summary zu den Studien Diem et al. (2005) und Schwarz et al. (2008):“Information der Medizinischen Universität Wien vom 23.05.2008: Verdacht auf fehlerhafte Studie der ehemaligen Abteilung für Arbeitsmedizin und die Presseinformation Wissenschaft und Ethik. In einer Stellungnahme der Österreichischen Kommission für Wissenschaftliche Integrität vom 23.11.2010 konnten die Fälschungsvorwürfe nicht verifiziert werden,” mit den Ergebnissen dieses Urteils zu ergänzen.
Der sogenannte “Wiener Fälschungsskandal” und das “Abschlussdokument”, mit dem Prof. Franz Adlkofer eine Bewertung des Vorgangs vornimmt, sind bedeutende Dokumente der Wissenschaftsgeschichte. Dieser Skandal reiht sich ein in die Skandale, die die Europäische Umweltagentur in den zwei Bänden “Späte Lehren aus frühen Warnungen” dokumentiert. Deshalb dokumentieren wir den Artikel von Franz Adlkofer hier ungekürzt. Wer sich über die Geschichte der Wiener Inszenierung der Mobilkfunkindustrie näher informieren will, kann dies auf der Seite http://www.pandora-stiftung.eu tun, dort ist die Auseinandersetzung dokumentiert, oder in der Broschüre der Kompetenzinitiative Strahlenschutz im Widerspruch zur Wissenschaft (kostenloser Download), bestellbar als Broschüre über den diagnose:funk shop.
Dokumentation: Stellungnahme von Prof. Franz Adlkofer zum Urteil
“Das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen verurteilt Professor Alexander Lerchl zur Rücknahme seiner Fälschungsbehauptung gegenüber der REFLEX-Studie
Franz Adlkofer
Das Ende einer langen Geschichte
In dem Rechtsstreit vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht Bremen gegen Alexander Lerchl, Professor für Biologie und Ethik an der privaten Jacobs University in Bremen, ging es um die abschließende Klärung der Frage, ob er seine seit 2008 ständig wiederholte Behauptung beweisen kann, dass die Ergebnisse der von der EU-Kommission von 2000 bis 2004 geförderten REFLEX-Studie gefälscht sind. Die Feststellung, dass die Mobilfunkstrahlung in isolierten menschlichen Zellen die Gene schädigen kann, überschritt sein Begriffsvermögen. Um seiner Behauptung Glaubwürdigkeit zu verleihen, bezichtigte er Elisabeth Kratochvil der Fälschung, die als Technische Assistentin an der Medizinischen Universität Wien (MUW) maßgeblich zu den REFLEX-Ergebnissen beigetragen hatte. Er verfolgte damit ein doppeltes Ziel. Zum einen wollte er verhindern, dass die von den Gutachtern der EU-Kommission hoch bewertete REFLEX-Nachfolgestudie ebenfalls gefördert wird. Damit war er erfolgreich. Zum andern wollte er erreichen, dass die REFLEX-Publikationen aus der wissenschaftlichen Literatur zurückgezogen werden. Damit scheiterte er. Die Herausgeber der Fachzeitschriften, in denen sie erschienen waren, konnte er von seinem Fälschungsvorwurf nicht überzeugen. Sie durchschauten seine Absicht und waren nicht bereit, sich für die Zwecke eines Lobbyisten der Mobilfunkindustrie, als der er bereits damals bekannt war, missbrauchen zu lassen.
Obwohl Prof. Lerchl bereits 2015 vom Landgericht Hamburg zusammen mit dem Laborjournal, in dem er Elisabeth Kratochvil in ehrverletzender Art als kriminelle Fälscherin dargestellt hatte, rechtskräftig auf Unterlassung verurteilt worden war [1], setzte er seine Verleumdung fort. Er deutete das Urteil in dem Sinn, dass ihm das Landgericht Hamburg lediglich verboten habe, den Namen der Fälscherin zu nennen, aber nicht, dass die REFLEX-Ergebnisse gefälscht sind. Auf die weitere Verunglimpfung von Frau Kratochvil, die für ihn von Anfang an lediglich Mittel zum Zweck war, um seiner Fälschungsbehauptung Glaubwürdigkeit zu verleihen, konnte er inzwischen verzichten. Dafür sorgten ohne sein weiteres Zutun seine nach wie vor weltweit verbreiteten und jedem zugänglichen Berichte über die angebliche Fälschung, die er trotz seiner Verurteilung vor dem Landgericht Hamburg nur teilweise zurückgezogen hat. Das Leid, das er der jungen Technischen Assistentin angetan hatte, nahm Prof. Lerchl, der sich inzwischen nicht nur für Biologie, sondern – man ist versucht zu sagen – humorvollerweise auch für Ethik zuständig erklärt, billigend in Kauf [2].
Anlass für die Fortsetzung des Verfahrens in Bremen waren Prof. Lerchls Videoauftritt unter dem Titel „Pick Up The Phone“ bei YouTube und sein Bericht „Lerchl: Handystrahlung, Strangbrüche und Gerichtsurteile“ unter www.ots.at, Österreichs Presseportal für den deutschsprachigen Raum. Auf YouTube behauptet er: „Und diese Studien, um die es geht, aus den Jahren 2005 und 2008, die sind fabriziert … auch laut Urteil der Medizinischen Universität Wien, die das nach wie vor auf ihren Webseiten bereit hält als Information.“ Gemeint sind die zur REFLEX-Studie gehörenden Publikationen aus der MUW. Auf www.ots.at äußert er sich über einen Film von Klaus Scheidsteger, in dem über die REFLEX-Studie berichtet wird, wie folgt: „Das Urteil [des Landgerichts Hamburg] spricht lediglich davon, dass der Name einer gewissen Person im Zusammenhang mit den Fälschungsvorwürfen, die ich gegen die REFLEX-Studien erhoben habe, nicht genannt werden darf. Der Vorwurf der Fabrikation der Ergebnisse bleibt selbstverständlich aufrecht … zumal auch die Medizinische Universität in Wien die Vorwürfe in einer Presseaussendung nach wie vor online bereit stellt!“ Die Pressemitteilungen der MUW waren bei Erscheinen der beiden Beiträge tatsächlich noch online, wurden aber kurz darauf auf Anweisung des neuen Rektors der MUW gelöscht, weil die darin enthaltenen Aussagen nicht der Wahrheit entsprechen. Der Aufforderung von Elisabeth Kratochvils Rechtsvertretung, die Fälschungsvorwürfe in Zukunft zu unterlassen und die Berichte zurückzuziehen, weil sie ihre Mandantin in ihren Persönlichkeitsrechten und in ihrer Ehre verletzen, war Prof. Lerchl nicht bereit nachzukommen. Dem Rat ihrer Rechtsvertretung folgend, reichte sie am 08.11.2016 Klage beim Landgericht Bremen ein.
Das Landgericht Bremen wies Elisabeth Kratochvils Klage am 12.10.2017 als unbegründet ab [3]. Die Pressemitteilungen der MUW habe es zum Zeitpunkt von Prof. Lerchls Aussage noch gegeben. Da die Äußerung in der Vergangenheit der Tatsache entsprochen habe, liege keine rechtswidrige Verletzungshandlung vor, die eine Widerholungsgefahr induziere. Beim ersten Klagepunkt „Und diese Studien, um die es geht, aus den Jahren 2005 und 2008, die sind fabriziert …“ handelt es sich nach Auffassung des Landgerichts nicht um eine strafbare Tatsachenbehauptung, sondern um eine zulässige Meinungsäußerung. Ein durchschnittliches Publikum verstehe unter „fabriziert“, die Studien seien behelfsmäßig oder laienhaft hergestellt oder mühsam zurechtgebastelt worden. Ein solches Verständnis enthielte wie bei Meinungsäußerungen einen vorwiegend wertenden Charakter. Auch der zweite Klagepunkt „Der Vorwurf der Datenfabrikation bleibt selbstverständlich aufrecht“ erfüllt nach Auffassung des Landgerichts die Kriterien einer Meinungsäußerung. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung seien derartige Bemerkungen gang und gäbe. Elisabeth Kratochvils Rechtsvertretung hielt diese Argumentation des Landgerichts für rechtsirrig, weil sie im Widerspruch zur höchst richterlichen Rechtsprechung steht. Sie riet deshalb dringend zur Berufung, die von Elisabeth Kratochvil dann am 20.10.2017 beim Hanseatischen Oberlandesgericht Bremen eingelegt wurde.
Bei der Berufungsverhandlung am 16.02.2018 erklärte der Vorsitzende Richter, dass sich das Oberlandesgericht unabhängig vom Urteil des Landgerichts eigene Gedanken zur Frage gemacht habe, ob es sich bei der Verbotsäußerung „Der Vorwurf der Datenfabrikation bleibt selbstverständlich aufrecht“ um ein Werturteil, d.h. eine Meinungsäußerung oder um eine Tatsachenbehauptung handelt. Da in dem Text mit der Verbotsäußerung auch von „Fälschungsvorwürfen“ die Rede ist, könne der Bedeutungsgehalt eigentlich nur als Fälschungsvorwurf verstanden werden. Auf keinen Fall dürfe diese Deutungsvariante ausgeschlossen werden. Zusätzlich müsse noch die von Frau Kratochvil geltend gemachte Stolpe-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt werden. Da bei dieser Betrachtungsweise die Fälschungsvorwürfe Tatsachenbehauptungen seien, habe Prof. Lerchl die Beweislast für eine Fälschung zu tragen. Mit Beschluss vom 09.03.2018 ordnet das Oberlandesgericht an, dass über Prof. Lerchls Behauptung Beweis erhoben wird, „dass die unter Beteiligung von Elisabeth Kratochvil als Mit- bzw. Erstautorin durchgeführten REFLEX-Studien aus den Jahren 2005 und 2008 gefälscht sind, was sich daraus ergebe, dass die in den Studien gezeigten Daten aus statistischen Gründen bzw. Gründen mathematischer Wahrscheinlichkeiten niemals realen Experimenten entstammen konnten, sondern nur den Schluss zuließen, dass sie erfunden seien.“
Der auf Vorschlag von Prof. Lerchl vom Hanseatischen Oberlandesgericht mit dem Gutachten beauftragte Sachverständige ist ein deutscher Universitätsprofessor für angewandte Statistik, aber ohne jegliches Verständnis für das von Frau Kratochvil an der MUW angewandte biologische Testverfahren. Er kam in seinem Bericht vom 01.07.2019 trotzdem zu dem Ergebnis, dass die Einwände gegen die REFLEX-Ergebnisse zwar nachvollziehbar seien, aber keineswegs den Schluss zuließen, dass diese gefälscht wurden. In seinem ergänzenden Gutachten vom 26.11.2019, das dem Gericht aufgrund der von Prof. Lerchl vorgetragenen Kritik am ursprünglichen Gutachten erforderlich schien, ging der Sachverständige zwar auf Prof. Lerchls Ausführungen ausführlich ein, blieb aber ohne jede Einschränkung bei seiner ursprünglichen Aussage. Prof Lerchls Forderung, den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wies das Oberlandesgericht zurück. Am 11.12.2020 verkündete es folgende Entscheidung [4]:
- „Auf Berufung von Elisabeth Kratochvil wird das Urteil des Landgerichts Bremen abgeändert. Prof. Lerchl wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgelds bis zur Höhe von 250.000 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, von Ordnungshaft oder von Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen, mit Bezug auf die Klägerin seine Fälschungsvorwurfe (s. oben) zu veröffentlichen und/oder veröffentlichen zu lassen. Prof. Lerchl hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Streitwert wird auf 20.000 EUR festgesetzt. Die Revision wird nicht zugelassen.“
______________________________________________________________________
diagnose:funk Video zu den Hintergründen des Prozesses
.
Die Lehre aus der Geschichte
Seit seiner Verurteilung durch das Landgericht Hamburg versucht Prof. Lerchl seine strafbewerten Tatsachenbehauptungen über die REFLEX-Studie in eine straffreie Meinungsäußerung umzuwandeln. Am 30.12.2016 versicherte er an Eides statt, er habe lediglich „den durch Gutachten erhärteten Verdacht geäußert, dass die Ergebnisse der REFLX-Studie … gefälscht seien.“ Dass es sich dabei um eine eidesstattliche Falschaussage handelt, die der Volksmund Meineid nennt, nahm er offensichtlich als jemand, dem Wahrheit wenig bedeutet, in Kauf [5]. Beim Landgericht Bremen war sein Täuschungsversuch noch erfolgreich. Das Hanseatische Oberlandesgericht durchschaute den Betrug. Um es trotzdem zu seinen Gunsten umzustimmen, ließ er seine Rechtsvertretung in der Endphase des Verfahrens Folgendes vortragen:
„Der Beklagte ist ein seit 30 Jahren national und international ausgewiesener Experte auf dem Gebiet der Erforschung biologischer Effekte magnetischer Felder und elektromagnetischer Strahlung. Er kann über 100 englischsprachige und begutachtete Fachpublikationen vorweisen. Er wurde im Jahr 2008 vom damaligen Bundesumweltminister Sigmar Gabriel als Vorsitzender des Ausschusses Nichtionisierende Strahlen zum Mitglied der Strahlenschutzkommission berufen (Anlage B60, SSK Lerchl Gabriel.pdf). 2010 wurde er vom damaligen Bundesumweltminister Dr. Norbert Röttgen für weitere zwei Jahre als Mitglied in die Strahlenschutzkommission berufen (Anlage BGV SSK Lerchl Röttgen.pdf). Dr. Röttgen schrieb: „Lassen Sie mich Ihnen bei dieser Gelegenheit für ihre bisherige hervorragende Arbeit insbesondere als Vorsitzender des Ausschusses Nichtionisierende Strahlen ganz herzlich danken.“ 2012 schrieb der damalige Bundesumweltminister Peter Altmaier (Anlage B62, SSK Lerchl Altmaier.pdf): „Nach erfolgreicher Tätigkeit in der Strahlenschutzkommission scheiden Sie mit Ablauf des laufenden Jahres aus diesem Gremium aus. Für Ihre lange und engagierte Mitarbeit bei den Beratungen der Kommission möchte ich Ihnen herzlich danken.“
Der Beklagte war und ist in zahlreichen Beratungsgremien tätig, u.a. der WHO. Für ein jüngst von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin öffentlich ausgeschriebenes „Politikberatungsgutachten zur Beurteilung eines Regelungsbedarfs im Übergangsbereich der Arbeitsschutzverordnungen zu elektromagnetischen Feldern (EMFV) und künstlicher optischer Strahlung (OStrV)“ ist dem Beklagten der Zuschlag erteilt worden. Der Beklagte ist somit zweifelsohne ein fachwissenschaftlich anerkannter Experte.
Die von der Klägerin und ihren Mitautoren veröffentlichten Befunde zu vermeintlichen Schäden der Erbsubstanz (DNA) durch Mobilfunk (Anlagen B1 und B2) wären von großer Bedeutung für alle Menschen, die ein Handy bzw. Smartphone benutzen, da die behaupteten Schäden, wären sie denn real, eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit und das Leben darstellen würden, da die Folge von DNA-Schäden Krebserkrankungen sind. Somit haben die kritischen Äußerungen des Beklagten ein überragendes öffentliches Interesse“.
Nach Abschluss der gerichtlichen Auseinandersetzungen über Prof. Lerchls Umgang mit der REFLEX-Studie ergeben sich folgende Schlussfolgerungen:
1) Die REFLEX-Ergebnisse haben aufgrund der von Prof. Lerchl erfundenen und weltweit verbreiteten Fälschungsgeschichte ihre wissenschaftliche Bedeutung zu Unrecht verloren. Weil er den Beweis für die Fälschung nicht erbringen konnte, was ihm mehrfach vorausgesagt worden war, wurde er 2015 vom Landgericht Hamburg und 2019 noch einmal vom Hanseatischen Oberlandesgericht Bremen auf Unterlassung der Fälschungsbehauptung verurteilt. Dies rechtfertigt die Forderung, dass die Ergebnisse der REFLEX-Studie ihre ursprüngliche wissenschaftliche Bedeutung zurückerhalten müssen. Sie tragen wesentlich zu der immer noch nicht abgeschlossenen Diskussion über die biologischen Wirkungen der Mobilfunkstrahlung bei.
2) Am 22.09.2009 fand in Wien unter dem Titel Seriöse Forschung oder Junk-Science ein Workshop statt, der von den für die Wissenschaft zuständigen PR-Organisationen der Mobilfunkindustrie aus Deutschland und Österreich mit dem Ziel organisiert wurde, den REFLEX-Ergebnissen endgültig den Garaus zu machen. Prof. Emilio Bossi, Präsident der Kommission „Wissenschaftliche Integrität“ der Akademien der Wissenschaften in der Schweiz, war eingeladen worden, um einen Vortrag über die fatalen Folgen wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu halten. Im Anschluss daran berichtete Prof. Lerchl über einen besonders schlimmen Betrugsfall, nämlich die Fälschung der REFLEX-Ergebnisse, den er im Alleingang aufgedeckt habe. Bei der nachfolgenden Diskussion wurde Prof. Bossi gefragt, ob ihm auch Fälle bekannt seien, in denen die Datenfabrikation nur behauptet wurde, um unliebsame Forschungsergebnisse aus dem Weg zu räumen. Dies war Prof. Bossis Antwort: Ein solches Vorgehen komme vor und sei von besonderer Niedertracht, weil von solchen Verleumdungen immer etwas hängenbliebe, was sogar zu einer irreparablen Beschädigung der Ergebnisse führen könne. Natürlich müsse derjenige, der sich so etwas zu Schulden kommen lasse – im vorliegenden Fall also Prof. Lerchl – genauso behandelt werden wie ein Fälscher [5].
3) Im Rahmen des Deutschen Mobilfunk-Forschungsprogramms von 2002 bis 2008 wurde von Politik und Mobilfunkindustrie wohl niemand vergleichbar großzügig wie Prof. Lerchl gefördert. Er dankte es ihnen, indem die Ergebnisse lieferte, die sie benötigten, um die Richtlinien für den Strahlenschutz der Bevölkerung nicht ändern zu müssen [6]. Erst kürzlich wurden ihm weitere 1,1 Millionen € zur Verfügung gestellt, um die Wirkungen der 5G-Strahlung auf menschliche Zellen zu untersuchen. Vermutlich wird er sie wiederum nicht enttäuschen, so dass die 5G-Instalierung, die wie die früheren Mobilfunkgenerationen ohne jede vorausgehende Risikoabschätzung eingeführt wird, zumindest nachträglich als unbedenklich dargestellt werden kann. Die Politik muss sich fragen lassen, wie lange sie der Öffentlichkeit ihre Zusammenarbeit mit Prof. Lerchl noch zumuten will. Nach Prof. Bossis Auffassung müsste er wegen seines Umgangs mit der REFLEX-Studie wie ein Fälscher behandelt werden.
Dafür, das der gegenwärtige Stand der Mobilfunkforschung und damit zusammenhängend der Strahlenschutz der Bevölkerung höchst unzulänglich sind, ist allerdings nicht Prof. Lerchl verantwortlich, sondern allein die Politik, die sich zur Durchsetzung ihrer Interessen seiner bedient. Sein Verständnis von Lobbyismus, der üblicherweise im Grenzbereich zwischen legal und illegal verläuft, ist offensichtlich umfassender. Er schreckt auch vor kriminellen Praktiken nicht zurück, wenn – wie im vorliegenden Fall – gute Aussichten bestehen, dass ihr Einsatz geheim bleibt. Um solche Fälle aufzudecken, braucht es Gerichte, die nicht der Politik, sondern dem Recht verpflichtet sind. Dies ist hier der Fall gewesen.”
Referenzen
[1] Urteil des Landgerichts Hamburg
[2] https://www.profil.at/home/rufunterdrueckung-das-sittenbild-handystudien-226363
[3] Urteil des Landgerichts Bremen
[4] Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen
[5] https://www.rubikon.news/artikel/auf-einer-wellenlange
[6] https://stiftung-pandora.eu/wp-content/downloads/pandora_doku_vortrag-harvard-erweitert-2012.pdf